Wo Pia Fries malt
Dieter Schwarz
In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat Pia Fries ein malerisches Werk geschaffen, dessen eigenwillige Erscheinung in der Rezeption vielfältige Metaphern produzierte. Um ihre mit Farbe beladenen Gemälde auf weiß grundierten Holztafeln zu beschreiben, genügte es offenbar nicht, konventionelle Termini der Malerei zu Hilfe zu nehmen. Dies schien von den bizarren Bildtiteln bestätigt zu werden – safien, badus, aersnaus – , hinter deren unvertrautem Wortlaut, den man kaum der eigenen Sprache zuschrieb, von landeskundigen Schweizern Flurnamen in seltenen Dialekten vermutet werden, Namen für abgelegene Orte also, womöglich sogar unzugängliche. Dorthin könnte man wandern, denkt man sich beim Lesen und Hören der Titel und ist im Geiste bereits dabei, sich in Bewegung zu setzen, also eingestimmt für die Betrachtung der Bilder. Wie dem auch sei – undechiffrierbare und doch anziehende Wortgruppen aus benachbarten Sprachregionen sind kein unpassender Anhaltspunkt für den Umgang mit dem Gesehenen, denn in Pia Fries’ Malerei geht es ebenfalls um das, was andernorts liegt, um Formulierungen und Markierungen, um Muster und Bewegungen, die man zu kennen glaubt und die einem durch die Arbeit der Künstlerin wie aus der Nähe in ein angrenzendes Feld versetzt entgegentreten. Als Wegweiser haben die Titel deshalb ihren Anteil an der lockend befremdlichen Anmutung der Werke. Und umgekehrt verfügen die Bilder wie ihre Titel über Reize, deren sinnliche Attraktivität zunächst Verlegenheit vor Begreifen auslöst.
Auffällig an Pia Fries’ Bildern ist die breit kommentierte Tatsache, dass die Farbe auf dem Malgrund in dichten Schichten aufgetragen ist, die über das hinausgehen, was man als pastos bezeichnet. Eher wird die Farbe auf der Fläche deponiert, und so war schon vom Gemälde als Lagerplatz die Rede. Ob dieses passive Bild von der Farbe als abgelagerter Materie die Sache trifft, ist fraglich, doch weist die Beschreibung darauf hin, dass die Farbe weder allein als Darstellungsmittel noch als Grundlage einer abstrakten Komposition verwendet wird, sondern dass sie aufgrund ihrer schieren Masse eine ungekannte Präsenz erhält und damit das Bildgeschehen beeinflusst. Um diese aktive Rolle zu unterstreichen, wurde sogar von der Farbe als Naturereignis geschrieben, als ob es innerhalb der Malerei und ihrer technischen Voraussetzungen so etwas wie Natur geben könnte. Wären Depot und Ereignis zwei Pole der Metaphorik, zwischen denen sich dieses Werk abspielt, so müsste man allerdings die Frage stellen, ob sich die Pole etwas näher charakterisieren ließen? Sind das Depot, also die Präsentation der Farbmaterie als in sich ruhender Körper, und das Ereignis, also die Farbe als dynamisches Element, zeitlose, essentielle Erscheinungsweisen der Malerei, oder folgen sie Voraussetzungen, die zu den spezifischen Konditionen neuerer Malerei gehören? Es lohnt dafür, den Blick über das Werk der Künstlerin hinausschweifen zu lassen, um diese Konditionen zu erfassen. Doch zunächst gilt die Aufmerksamkeit der Produktion von Pia Fries selbst, deren Stationen und Logik kurz rekapituliert seien.
Erste abstrakte Gemälde folgen Ende der achtziger Jahre auf Werke aus der Studienzeit, die teilweise noch figürlich sind. Die Formulierung ›noch‹ ist mit Vorsicht zu nehmen, da Figuren wie die dargestellten bunten Vögel geeigneten Vorwand für das Erproben intensiver Farbkonfrontationen auf engem Raum boten und Ablösung von einer schematischen Annäherung an ornamentale Ordnungen versprachen. In den ersten reifen Gemälden um 1990 überrascht die wechselhaft gestaltete Oberfläche, deren taktile Erscheinung im Gleichschritt mit der noch gedämpften Farbigkeit der einzelnen Partien bereits Aufmerksamkeit beansprucht. Bewegungen der Malinstrumente sind ablesbar, die den Auftrag prägen, doch lässt sich kein eindeutiger Angriffspunkt ausmachen, denn die Farbmassen wurden auf den am Boden liegenden Bildträger aufgebracht, von allen Seiten, polymorph ausschweifend, ohne ein Oben und Unten schon zu kennen. Ist von Instrumenten die Rede, dann sind darunter nicht allein Pinsel und Spachtel zu verstehen. Darüber hinaus verwendete Pia Fries über die Jahre eine Vielzahl von gefundenen und selbstgebastelten Werkzeugen, denen nichts anderes obliegt, als Farbe auf die Fläche zu transportieren und diese nicht als pures Material, sondern mit einer Spur versehen darauf zu hinterlassen. Damit ist für die abstrakte Malerei etwas Entscheidendes geschehen, das sich von Braques Mischen der Farbe mit Sand und Steinchen unterscheidet. Damit wurde die Oberfläche des Bildes wohl erstmals nicht allein mit Hilfe der Pinselschrift gefurcht, sondern als materielle Fläche neben der Fläche der Wand veranschaulicht und auf die umliegende Realität geöffnet. Diese Einsicht machte bald Schule, etwa im russischen Konstruktivismus, und zahlreich sind die Namen derjenigen, die in verwandter Weise in das Material Farbe eingegriffen haben. Demgegenüber wurde in der frühen Moderne die Möglichkeit erkundet, die Farbe für sich als reines Element zu begreifen und sie isoliert von darstellenden Aufgaben und selbst von Farbkontexten auf den Bildträger zu bringen – bereits in Delaunays prismatischen Farbspektren, am deutlichsten wohl in den wiederkehrenden Bemühungen um eine absolute Monochromie, worin die Farbe einerseits sensuelles Medium oder, in der materialistischen Variante, materielles Residuum ist. Auch von dieser Tradition nimmt Pia Fries mit ihrer Arbeit Abstand, denn die Prägung des Auftrags erlöst die Farbe von ihrer Rolle als reines Pigment oder als schlammige Materie und reiht sie ein in das Reich der Vieldeutigkeit, des Effekts, der malerischen Rhetorik.
Die Grundsituation ist damit skizziert, und man könnte Pia Fries’ Werk von da an beschreiben als ein Umgehen dieser historischen Angriffspunkte und als ein Zurückziehen der Farbe – nicht auf sich selbst, sondern in exzentrische Zonen. Nicht dass die Farbmarkierungen verschwinden würden, allein sie sind einer Bewegung unterworfen, die sie vom Zentrum in andere Bereiche verschiebt und dies nicht allein mit dem Ziel einer exzentrischen Komposition, sondern dafür, um die Aufmerksamkeit für Einzelheiten zu schärfen, die sich als ebenso bedeutungsvoll wie das Ganze präsentieren. Dabei kommt die Differenzierung des Farbauftrags zu Hilfe, denn die Verschiebung der Farbmasse ist nicht allein eine tonale oder eine lokale. Für Pia Fries gilt es, im Bilde eine Mikroebene zu schaffen, die dem Blick so viel hergibt, wie der abwägende Überblick sonst aus der Ferne annimmt. Wenn von einer Ebene die Rede ist, dann nicht in räumlichem Sinne; vielmehr erhält die Farbe, ob hochoder tiefliegend, ein Gesicht, es werden lokale Irritationen und formale Korrespondenzen etabliert, die nicht nur parallel zu den Achsen und Verschränkungen der Komposition spielen.
Die nächsten Schritte von Pia Fries lassen sich in diesem Sinne verstehen. Mit parsen und module malte sie 1999 einen Zyklus von dreißig kleinformatigen Bildern, der die Bewegung innerhalb eines Bildes auf die gesamte Bilderfolge überträgt. Von den alliterierenden Bildtiteln – paramodi, partiner, parfanz, … – gleichsam angezettelt, springen die farbig-formalen Beziehungen und Malbewegungen über die Ränder, an denen sie gezwungen sind, innezuhalten, hinüber auf die anderen Bildtafeln. Die Frage der Begrenzung einer abstrakten Komposition stellt Pia Fries in konzentrierter Form ebenfalls in den zweiteiligen Werken von 2001. Anstelle des weißen Bildgrundes, der sich zuvor mehr und mehr entleerte und als Sprungbrett für farbige Setzungen zu erkennen gab, steht hier für einen jähen Moment die Leere, der Zwischenraum zwischen den beiden Paneelen. Pia Fries riskiert die Unterbrechung der Malerei und lässt sie dann wieder einsetzen, als wolle sie die Entscheidung, die jeder Farbsetzung vorausgeht, als Abwendung von der Leere, dem Mangel vorführen. Angezeigt war diese Möglichkeit in den Schnitten gewesen, die in früheren Bildern schon ab und zu den Farbfluss querten und ihn bis zum Grund entfernten. In dieser Logik stehen die nun folgenden Abbildungen von Ohr und Muschel, von vergrößerten Farbklümpchen, die mittels Siebdruck vor der eigentlichen Malerei auf den weißen Grund gesetzt werden. Obwohl nicht von derselben Taktilität wie die Farbe ist die flache Abbildung sehr effektiv, bringt sie doch trügerische Illusion in das Bild ein, das zuvor dem Betrachter gegenüber seine eigene Realität ausgespielt hatte. Vor allem arbeitet Pia Fries nicht an der Trennung der Ebenen von Abbildung und unmittelbarer Präsenz, sondern an deren Verschränkung, so dass die Abbildung der Malerei, nämlich der Farbsetzungen, auf die eigentliche Malerei zurückschlägt. Im Gegensatz zur Montage, die aus der Konfrontation verschiedener Elemente den Schock ableitet, macht Pia Fries in der Vermengung das Verschiedene zum Gleichartigen. Denn die Abbildung zeigt nichts – als Farbe, sie steigert die spektakuläre Wirkung der Markierungen in unerhörtem Maße und insinuiert, dass diese nie sich selbst, sondern stets den Gestus des Malens und die damit erzeugten Effekte meinten. Dies kündigte sich schon in den Bildausschnitten an, die Pia Fries gemeinsam mit Hans Brändli gelegentlich für Einladungskarten konzipierte. Makroaufnahmen von Bildpartien wurden dafür kombiniert mit Knoten, Tintenfischtentakeln und anderen strukturierten Fragmenten, die so sinnund funktionslos, doch so reizend daherkommen wie ein Stück Farbe. Bildausschnitt und zusätzliche Elemente wurden erneut photographiert, so dass neue Bilder zustandekamen, die nur noch in photographischer Form existierten, indes in der Vergrößerung und der Präzision der Wiedergabe von Einzelheiten überscharf und direkter als jedes Gemälde auftraten. Ein Bild kann sich nur hinter einem Bild verbergen, es gibt weder eine wirksamere Tarnung noch einen anders gearteten Kontext.
Um wieder zum Beginn zurückzukehren, stellt sich die Frage nach der Situation der Malerei zu dem Zeitpunkt, da Pia Fries darin eintrat. Die unendliche Fülle von malerischer Produktion kann als ein Feld betrachtet werden, das durch die markanten Positionen, die sich in den fünfziger und sechziger Jahren etablierten, gegliedert wird. Es sind nicht isolierte Positionen für sich, von denen die Gliederung des Feldes ausgeht, sondern die wechselseitigen, analogen und konträren Beziehungen, die sich dazwischen herstellen lassen und ebenso die vielfältigen Ableitungen davon, auf die man innerhalb des Feldes stößt, denn eine Struktur umgeht die Fokussierung auf ein Zentrum und baut sich aus aufeinander bezogenen Elementen auf. Nicht von ungefähr lassen sich die im Folgenden genannten Positionen nur begreifen, indem man die charakteristischen Merkmale in bezug aufeinander notiert, um Paradigmen zu bilden, während andere Eigenschaften vorderhand zurücktreten müssen.
Einer ersten Position könnte man Yves Klein zuordnen, da er die Malerei auf den Farbkörper reduziert. Wird die Farbe zunächst auf einem Bildträger präsentiert, so zeigt sich bald, dass dies nicht genügt, da dadurch gegenstrebige Bewegungen ausgelöst werden. Einerseits wird die Farbe selbst zum Objekt, und der Träger wird überflüssig; das Pigment, das Klein als IKB (International Klein Blue) zur Marke erklärt, ist die Währung, die in reiner Form erscheinen soll. Andererseits wird die Wahl der Farbe zur konzeptuellen Geste, die sich zwar noch auf den Farbkörper bezieht, doch ihn als nicht mehr benötigten zum Verschwinden bringen will, da die immaterielle Vorstellung genügt.
Die zahlreichen Versuche, die in den sechziger Jahren zu verzeichnen sind, eine neue monochrome Malerei zu realisieren, situieren sich in der Nachbarschaft oder in der Abgrenzung zu Kleins blauen Bildern. Mit Brice Marden wäre ein Maler zu nennen, bei dem eine streng monochrom konzipierte Malerei nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangspunkt des Werks erscheint. Die mittels der Enkaustik-Technik verdichtete Malfläche, deren geschlossene Oberfläche die Pinselstriche verschluckt, ist die Summe der malerischen Möglichkeiten, die darin stumm bewahrt sind und die Marden in den siebziger und achtziger Jahren in einem langwierigen Prozess, der immer wieder auf das Figürliche anspielte, daraus herauslösen sollte. Dass die Linie dabei eine zentrale Funktion übernahm, lässt denken, dass die monochrome Bildfläche nie kompakt, sondern aus Schraffuren entstanden war; darauf lassen frühe zeichnerische und druckgraphische Arbeiten Mardens schließen.
Im Gegensatz zur Hypostasierung des Farbkörpers bei Klein behandelt Robert Ryman die Farbe ebenso wie die übrigen Elemente eines Gemäldes nicht als Essenz, sondern als materielle Bestandteile, die sich im Arbeitsprozess beständig auffächern und erweitern. Die Farbe Weiß, die als Inbegriff der Reinheit erscheinen könnte, wird als Möglichkeit zur Differenzierung und nicht als Aufhebung der Differenzen präsentiert, denn bereits im Frühwerk Rymans erscheint sie als oberste Schicht auf einem Grund, der von einem unregelmäßigen Farbauftrag bestimmt ist. Doch sowohl die Technik des Auftrags wie die Schichtung oder auch Nicht-Schichtung der Farben werden miteinander brüsk konfrontiert, um zu veranschaulichen, dass keine selbst-evidente, natürliche Ordnung der Farbe und der Malerei existiert, sondern dass, abgesehen von den Bedingungen, welche die Geschichte, der Ort der Präsentation, das Licht usf. der Malerei aufgeben, diese bereits von Anfang an einem fortlaufenden Differenzierungsvorgang unterworfen ist, dem in keiner Weise zu entkommen ist.
Eine vierte Position nimmt Gerhard Richters Malerei ein. Sie entfernt sich am weitesten vom Klein’schen Farbkörper, doch korrespondiert Richters Auffassung, die Malerei als scheinhaftes Schauspiel vorzuführen, auf einer anderen Ebene mit Kleins Inszenierungen. Gegenüber Rymans von der Materialität der Malerei bestimmter, gänzlich antiillusionistischer Annäherung an das Bild spielt Richter auf die Malerei als Vorspiegelung an, auf ihre suggestive Fähigkeit, Bilder zu errichten und Wirkungen auszuspielen, und zugleich verweigert er eine sinnhafte Auflösung. Insbesondere die Malgeste selbst wird bei Richter Objekt der Analyse, denn sie wird von jeder subjektiven Präsenz entleert und als rhetorische Wendung vorgeführt, indem beispielsweise der Pinselstrich durch das mechanische Vertreiben der Farbe mit dem breiten Rakel ersetzt wird. So bleiben sowohl Illusionismus wie Materialität erhalten, ohne dass sie sich wie bei Ryman seitwärts – vom Bild weg über seine Befestigung auf die Wand – oder wie bei Marden im Bilde selbst – als Bewegung von der Fläche in die Linie – verschieben könnten.
Um den Moment, da Pia Fries die Szene der Malerei betritt, zu begreifen, genügt es nicht, allein von einem Feld und dessen Differenzierung zu sprechen. Vielmehr ist der Moment dadurch charakterisiert, dass dieses Feld nicht unbedingt für sich allein zu beschreiben ist, denn inzwischen legt sich darüber eine zweite Ebene, diejenige des Bildes als Objekt, der selbst zum Gegenstand gewordenen Malerei. Dies ließe sich einerseits bereits an den vier erwähnten Positionen erläutern, indem der Übergang vom Bild als transparenter Folie, die den Blick auf etwas anderes freigibt, zum Bild als opakem Objekt hervorgehoben wird, der innerhalb jeder einzelnen Position zu beobachten ist. Parallel dazu begann die Skulptur, sich malerischer Mittel zu bedienen, und die Aufnahme von malerischen Effekten in das plastische Objekt trug neue Impulse in das Feld der Malerei zurück. Die beschriebenen Positionen der Malerei würden daher von vier weiteren, damit nicht kongruenten Positionen überlagert, wobei ein Potential neuer Beziehungen denkbar wird.
So wechselte Robert Rauschenberg in seinen ›Combines‹ farbige Markierungen, wie sie in Gemälden des abstrakten Expressionismus gebräuchlich waren, durch Gegenstände aus, deren eigene Farbigkeit gleichwertig neben die malerischen Setzungen tritt. Die Farbwerte verlaufen neben den narrativen Eigenschaften der Gegenstände, so dass man von einer Praxis der Konjunktion ungezählter heterogener Elemente sprechen kann, die schließlich einer Referentialität und damit einer, wie auch immer losen Komposition untergeordnet werden. An dieses Vorgehen grenzt die Praxis eines John Chamberlain an, der im Zusammenfügen von Teilen seines deformierten Rohmaterials, der lackierten Karosseriebleche, alles Erzählerische ausschließt, um allein der formalen, insbesondere der farblichen Attraktion nachzugeben. Plastische Erscheinung und Farbigkeit in der Wahrnehmung voneinander zu trennen, erweist sich als unmöglich, ebenso wie die Entscheidungen Chamberlains während des Arbeitsprozesses stets beides in Betracht ziehen.
Der Verbindung der Elemente und Farben bei Rauschenberg steht bei Donald Judd ihre Disjunktion gegenüber. Dies bedeutet, dass Elemente zusammengefügt werden, ohne einer Komposition untergeordnet zu sein, also als individuelle erhalten bleiben. Dies gilt ebenso für ihre Farbigkeit, die nicht Vereinheitlichung anstrebt, sondern das unvermittelte Nebeneinander der Farben als Wert behält. Judd hatte schon früh die koloristischen Qualitäten von Chamberlains Arbeit erkannt. Seine eigene Arbeit war ebenfalls darauf ausgerichtet, Grenzen zwischen den Disziplinen aufzuheben und dafür die Eigenschaften von Material, Oberfläche und Bemalung als gleichberechtigte wahrzunehmen. Deshalb kann es keine Trennung von Fläche und Farbigkeit geben; jede Annäherung an ein Objekt bedeutet, die spezifische Erscheinung zu erfassen und dies nicht nur in sich, sondern in bezug auf seine Umgebung, die von der Oberfläche des Werks affiziert wird und diese ihrerseits affiziert. Auch für Lawrence Weiner ist die Farbe akzidentell und nicht essentiell, doch erscheint sie in seinen Arbeiten als Allgemeines, das sich in verschiedener Weise manifestieren kann, als separate Eigenschaft, die sich mit anderen, in seinen Arbeiten benannten Materialien nicht unbedingt deckt, noch damit notwendig verbunden ist.
Aus dem Feld der Malerei gibt es für denjenigen, der sich zum Aufenthalt darin entschlossen hat, kein Entweichen. Wer sich durch seine Arbeit dafür qualifiziert, bewegt sich darin und ist mit den Positionen konfrontiert, die zu einem bestimmten Zeitpunkt unumgänglich sind.
Originalität bedeutet, aus den Möglichkeiten und zwischen den Bezugspunkten eine Konfiguration zu erarbeiten, die es so noch nicht gegeben hat. Deshalb sollen die beschriebenen Positionen nicht dazu dienen, Abhängigkeiten festzustellen, sondern Differenzen zu bestimmen, um daraus die spezifische Qualität von Pia Fries’Arbeit zu verstehen. Als Schülerin von Gerhard Richter würde man sie nahe der Position vermuten, die durch eine melancholische Auflösung der malerischen Geste gekennzeichnet ist. Ob sie gerade aufgrund dieser Nähe vor der analytischen Bewegung gefeit war, lässt sich nicht erklären. Feststellen lässt sich jedoch, dass Pia Fries’ abstrakte Malerei eine synthetische und keine analytische ist, denn sie wendet sich nicht kritisch Geste und Vermittlung zu, sondern zeigt sich interessiert, das Spektrum von Gesten und Medien auszudehnen. An die Stelle der Analyse tritt bei ihr die Feier, doch was wird gefeiert, wenn nicht die Tatsache, dass es die Malerei als extensive Praxis gibt? »Diess Alles bin ich, will ich sein, Taube zugleich, Schlange und Schwein!« – mit dieser Nietzsche-Zeile läutete Pia Fries 1992 ihren Beitrag zur Ausstellung ›Der Teppich des Lebens‹ ein. Im feiernden Umarmen der Gegensätze nimmt sie Distanz zum idealisierten Farbkörper Kleins, denn ihre Bewegung führt von der Geschlossenheit einer in sich ruhenden Farbfläche, bei der sie sich gar nie aufgehalten hatte, weg. Doch auch der lyrischen Auflösung, die Marden dafür erfand, nähert sie sich nicht wirklich an, denn sie ist nicht daran interessiert, das subtile Gleichgewicht zwischen Figur und Flächigkeit zu wahren; Pia Fries vermeidet jede figürliche Anspielung und sieht sich der Fläche nicht verpflichtet, denn ihre Markierungen dringen bewusst in den Raum des Betrachters vor. Ergiebiger erweist sich deshalb die zweite Matrix, denn hier finden sich Modelle, die für Pia Fries’Arbeit dienlich sein könnten. So ist Rauschenbergs Freiheit im Umgang mit Farbe als Objekt, der zwanglose Wechsel zwischen reproduzierten Bildern und Farbauftrag, ein Anhaltspunkt, ebenso seine synthetisierende Kraft; Pia Fries scheut vor der radikalen Disjunktion zurück, doch bringt sie das Interesse an einer Oberfläche, die sich aufgrund ihrer sichtbaren Herstellung selbst Gegenstand genug ist, in die Nähe der Positionen, die dem Narrativen gänzlich entsagen. In Pia Fries’ Malerei gibt es schließlich keine Notwendigkeit, sondern die Kontingenz, also den Fortgang der Arbeit, die sie zwingt, gleichzeitig an mehreren Bildern zu arbeiten, um die Vielzahl der Möglichkeiten nicht von vornherein auszuschließen.
Oder täuschen diese Exkurse in das Feld der Malerei nur Phänomene vor, die wir uns angelesen haben und durch die Pia Fries bloß hindurchgegangen ist? Malt sie vielmehr aus der Erinnerung an die Bilder, mit denen sie aufgewachsen ist? Wo malt Pia Fries? Sie malt unter den spätbarocken Deckenmalereien der Stiftskirche von Beromünster, wo die bunten Vöglein sich wie Farbspritzer auf dem weiß gekalkten Grund von Absatz zu Absatz schwingen, unvergesslich prächtig, unübersehbar.